Als ich als Student in meine, zum Teil maoistische, Wohngemeinschaft zog, lernte ich die Frankfurter Rundschau kennen. Als ich 1980 auszog, wurde ich Abonnent.
In Berlin war ich jeden Arbeitstag 40 Minuten in der U-Bahn unterwegs. Das reichte für die Lektüre nicht aus. In der letzten Zeit bin ich oft nach 5 Minuten fertig. Ich bin mir nicht im klaren, ob ich mich geändert habe oder die Zeitung sich geändert hat.
Ich möchte keine Zeitung, in der ich nur meine Ansichten bestätigt sehe. Gerade wenn man andere Ansichten kennenlernt und sie zu widerlegen sucht, lernt man sehr viel. Dazu muss man häufig selber recherchieren, was heute dank Internet nicht so schwierig ist und man stösst manchmal auf Informationen, die einen überraschen. Aber eine Zeitung über die man sich fast nur ärgert, braucht man auch nicht. Daher habe ich das Abonnent gekündigt und in einem Leserbrief (der jetzt folgt) erläutert, was mich stört.
1. der «Haltungsjournalismus».
Die
angebliche Meinungsseite ist irreführend. Es gibt in der FR schon lange keine
Trennung mehr zwischen Meldung und Kommentar. Natürlich gibt es keine wertfreie
Berichterstattung, aber es gibt das Bemühen um eine Beleuchtung von allen
Seiten. Nur leider selten in der FR. Ich stelle fest, dass ich häufig nur noch
die Überschrift und den Namen des Journalisten lese. Ich brauche den Artikel
nicht mehr zu lesen, weil ich die Haltung des Journalisten kenne und daraus
besteht der Artikel zu großem Teil.
2. der
Anspruch die Meinung der Leser zu bilden
Zum ersten
Mal hörte ich es im «Presseclub» von einem Mitglied der Chefredaktion, dass man
stolz darauf sei, ein grosser Meinungsbildner zu sein. Auch in ihren
Stellenanzeigen wirbt die FR damit, die Meinung der Leser zu bilden.
Ich möchte
mir aber meine Meinung selbst bilden. Wie passt das zum aufgeklärten Leser, der
doch den Mut haben sollte, sich seines Verstandes zu bedienen.
Schon Georg
Lichtenberg warnte davor, dass eine Zeitung den Blick in die Welt versperren
könnte.
3. die
Zusammenarbeit mit Aktivisten
Ich war
geschockt, als die FR mitteilte, dass sie jetzt mit der Aktivisten-Plattform
«Klimaretter» zusammenarbeitet. Aktivisten sind keine Journalisten. Ich habe
mir damals die Biografien der Aktivisten angeschaut. Keiner hatte eine solide
Grundausbildung für das, worüber sie schreiben. Aber vielleicht ist das im
Qualitätsjournalismus auch nicht notwendig.
4. die
Gastbeiträge
Ich habe den
Eindruck, dass jeder der die «richtige» Haltung hat, einen Beitrag in der FR
veröffentlichen kann. Es findet keine Qualitätskontrolle statt. Da schwärmt z.
B. die Chefin eines Ökostromanbieters von Wind- und Sonnenenergie und wenn man
auf die Webseite der Firma geht, stellt man fest, dass die Firma nur
Wasserkraftstrom aus Österreich anbietet. Da stimmen dann auch schon mal die
Zahlen nicht, aber die Haltung stimmt. Man braucht wenige Minuten, um auf
solche Ungereimtheiten zu kommen. Ist das zu viel verlangt für
Qualitätsjournalismus? Sie können natürlich sagen, dass Sie für die Aussagen
der Gastbeiträge nicht verantwortlich sind, aber rechtfertigt das die
Veröffentlichung minderer Qualität?
5. die
sogenannten Interviews
Sie sind
ein Paradebeispiel für den Unterschied zwischen kritischem Fragen und
Stichwortgeben. Herr Will gibt z. B. immer den gleichen drei Leuten Stichworte.
Kennt er keine anderen? Warum sollte ich das fünfte Interview mit derselben
Person zum gleichen Thema lesen?
6.
mangelnde Höflichkeit
Ich habe
mich manchmal gefragt, ob meine Leserbriefe überhaupt angekommen sind. Ich habe
es daher einmal mit einer Bitte um Bestätigung vergeblich versucht.
Ich habe
einmal angefragt, ob es nicht möglich ist, wenn auf Studien verwiesen wird, den
Link zu veröffentlichen. Warum muss ich zu Konkurrenzblättern gehen, um den
Link zu finden?
Sie hielten
es nicht für angebracht, darauf zu antworten. Ich war 30 Jahre im Vertrieb
tätig. Meine Kunden haben immer eine Antwort bekommen, denn ich wollte, dass
Sie künftig mein Gehalt finanzieren.
7. die
Missachtung der Würde
Die FR hält
die Achtung der Menschenwürde sehr hoch. Aber das gilt nur für die «Guten» mit
der richtigen Haltung. Für Politiker (GRÜNE und manche Linke ausgenommen) und
Polizisten gilt das nicht.
Da darf
dann ein Greenpeace-Mitglied in einem Gastbeitrag A. Merkel für Millionen Tote
verantwortlich machen. Ein Politiker darf als Automat verächtlich gemacht
werden und Polizisten dürfen (in einem veröffentlichten Leserbrief) als
«rassistische Eiterbeule» bezeichnet werden.
8. das
seltsame Demokratieverständnis
In einem
Artikel über Südkorea hieß es, dass dort es dort eine hoch entwickelte
Demonstrationskultur bestehe. Fast jede Demonstration ende in einer
Strassenschlacht mit der Polizei. Es war nicht ironisch gemeint, sondern als
Merkmal einer funktionierenden Demokratie dargestellt.
In einem
anderen Artikel hieß es, dass der Vorteil Frankreichs sei, dass nicht alles im
Parlament entschieden würde sondern auch auf der Straße. Nach meinem
Verständnis darf jeder seinen Unmut auf der Straße kundtun, aber die Entscheidungen
sind in einer Demokratie im Parlament zu entscheiden.
Lesen Sei
Ihre Zeitung eigentlich selbst und fällt Ihnen das nicht auf?
9. das
Missionarische, das Dogmatische
Sie
glauben, dass sie die Welt retten müssen. Vielleicht will die Welt aber gar nicht
von Ihnen gerettet werden.
Sie
befürchten durch das Verschwinden des Qualitätsjournalismus (d. h. der FR) eine
Gefährdung der Demokratie. Vielleicht ist das Ross doch etwas zu hoch auf dem
Sie sitzen.
Wenn jemand
gegen die Kernenergie ist (was ja eine ehrenwerte Haltung ist), dann gehört er
zu den Guten. Wenn man jedoch wie der Weltklimarat der Meinung ist, dass man
auf Kernenergie nicht verzichten kann, um den Klimawandel aufzuhalten, dann
nimmt man in den Augen der FR die Vernichtung der Menschheit in Kauf.
Dass es zu
einem Problem durchaus zwei Meinungen geben kann, die sich zwar widersprechen,
aber die man beide aus ehrenwerten Gründen vertreten kann, ist nicht
vorstellbar.
Was in der
FR Haltung heißt, heißt in der Theologie Dogma.
10. die
Panikmache
Im Jahre
2005 (?) hat ein Statistiker deutsche und ausländische Zeitungen (u. a. die FR)
auf «Panikmeldungen» untersucht. Das Ergebnis war, dass in deutschen Zeitungen
bis zu viermal mehr Panikmeldungen erscheinen als in französischen oder
spanischen Zeitungen. Ist Panikmache ein Zeichen von Qualitätsjournalismus oder
Aktivismus?
In der
Ausgabe vom 29.4. prangt auf der ersten Seite ein Bild von einer Mücke unter
dem reißerischen Titel «Moskitos im Anflug». Im Untertitel heißt es dann,
dass die Gelbfiebermücke innerhalb von 30 Jahren Deutschland flächendeckend
besiedeln wird. Wenn man aber den Text auf Seite 24 aufmerksam liest, dann
heißt dort, dass die Gelbfiebermücke wohl mehr als 30 Jahre braucht, um nach
Deutschland zu kommen.
Auf der
ersten Seite wird mit einer Falschmeldung Panik erzeugt und hinten wird es dann
im Kleingedruckten richtiggestellt. Das ist in meinen Augen
Boulevard-Journalismus. Aber es kommt ja hauptsächlich auf die «Haltung» an, da
muss man es nicht immer so genau nehmen im Qualitätsjournalismus.
Es läuft
zurzeit eine Kampagne mit dem Ziel, junge Menschen davon zu überzeugen, dass
der Weltuntergang durch den Klimawandel droht. Es sollen alle in Panik versetzt
werden.
(Der
Weltklimarat sieht das übrigens nicht so. Aber über dessen Meinung wird nur
berichtet, wenn er zur Haltung der FR passt.)
Ich kann
mir kaum etwas schlimmeres vorstellen, als ein Leben in permanenter Panik und
Angst. Wer Kinder permanent in Angst und Panik versetzt, läuft Gefahr schwerste
psychische Schäden zu erzeugen und das ist verwerflich.
Die jungen
Leute fordern «Alles und das sofort.» In einer Demokratie gibt nie alles und
erst recht nicht sofort. Was werden die jungen Leute denken, wenn sie
feststellen, dass ihre Forderungen nicht erfüllt werden? Resignation und Abkehr
von der Demokratie kann eine Folge sein. Andere mögen auf die Idee kommen, dass
zur Verhinderung des Weltuntergangs auch Bomben gerechtfertigt sein können.
Warum
unterstützt die FR das?
Ein
Qualitätszeitung sollte in meinen Augen über Kampagnen berichten, aber nicht
Teil der Kampagnen sein.
Ich sehe
natürlich auch Ihre Seite. Es ist mir selbst einmal so gegangen, dass in der
Monatsmitte nicht klar war, ob am Ende des Monats das Gehalt überwiesen wird.
Da kann einem der Arsch schon auf Grundeis gehen.
Ich sehe
auch manchmal aus Leserbriefen, dass zu mindestens viele Leser eine kritische
Berichterstattung zu manchen Themen nicht wünschen. Wir fühlen uns einfach
besser, wenn unsere Ansichten bestätigt werden.
Zeitungen
haben es heute wirtschaftlich nicht einfach. Ich vermute, dass kluge Köpfe nach
der Insolvenz das Zielpublikum der FR untersucht haben.
Leider gehöre nach 44 Jahren Lektüre (davon 39 Jahre als Abonnent) nicht mehr dazu.